Collage / Überblendung

Die einzelnen Videobeiträge der fünf Akte funktionieren wie Collagen aus filmischem Bild, Sound und poetischem Text. Selten stehen diese drei Ebenen in einem illustrativen Verhältnis zueinander, das heißt, dass selten zu sehen ist, was gesagt wird. Vielmehr liegen Text, Sound und Bild wie Ebenen übereinander, die in einem Spannungsverhältnis stehen. Das Prinzip der Collage durch Überblendung und Verfremdung löst sich auch auf filmischer Ebene ein. Beispielsweise schiebt sich über die dokumentarische Aufnahme einer Tropfsteinhöhle die grafische Zeichnung des goldenen Schnitts oder ein Bildausschnitt wird extrem herangezoomt, so dass das eigentliche Bild nicht mehr erkennbar ist. Manchmal liegt auch ein anderes Bild wie ein hauchdünner Schleier über der Aufnahme einer Höhle, ein anderes Mal öffnet sich ein Bild im Bild wie ein Fenster im Film und man sieht das Aufschlagen des Eis in einem Ausschnitt, der über der Aufnahme einer Wasseroberfläche liegt. Die Malerei auf einem seidenen Halstuch, das eng um einen Hals geschlungen eingeblendet wird, ähnelt der Wasseroberfläche eines kleinen, tiefblauen Sees, unter dem sich eine Höhle vermuten lässt. Oder die Animation einer Ente „fliegt“ im ersten Akt plötzlich über die filmische Aufnahme. „Sterben Üben – das Leben als 5-Akter“ agiert immer auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Ein abstraktes lyrisches Ich spricht Mal Subjektives, Mal Zitate, während der Sound Mal zwitschert, Mal atmosphärisch klingt, Mal Marschmusik zu zitieren scheint. Textlich ergänzt wird die fragmentarische, subjektive Perspektive von historischen und wissenschaftlichen Einschüben zu unterschiedlichen Vögeln oder von Textschnipseln, die aus Online-Kommentarspalten kommen könnte oder die eine künstliche Intelligenz geschrieben haben könnte. So wie die Bildebene eine Reise unternimmt, die mit dem ersten Akt in die Höhle hinabsteigt und zum 5. Akt hin die Höhle verlässt, so verändert sich auch der Text und der Sound. Im 5. Akt wird Text nur noch als Untertitel eingeblendet, im 4. Akt ist er bereits zur Wiederholung und Variation weniger Worte geworden:
„Retardation. Schulterblick
Mir ist nicht kalt.
Ich passe mich mir selbst an.
Adaptation.“

Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch

https://annagohmert.de/das-leben-als-5-akter/

Collage / Superimposition

The individual video segments of the five acts in Sterben Üben – Das Leben als 5-Akter (Learning to Die – Life in 5 Acts) function like collages consisting of film images, sound, and poetic text. These three levels are rarely presented in an illustrative way, meaning that the viewer rarely sees what is being said. Rather, text, sound, and image lie on top of one another like layers in a state of tension. The principle of collage through superimposition and alienation is also applied at the cinematic level. For example, a graphic drawing of the golden ratio is overlaid on documentary footage of a stalactite cave, or a section of the image is zoomed in on to such an extent that the actual image is no longer recognisable. Sometimes another image lies like a wafer-thin veil over the shot of a cave; at other times, a frame within a frame opens up like a window in the film and you see the ice breaking up in a clip that overlays the shot of a water surface. A painting on a silk scarf shown wrapped tightly around a neck resembles the water surface of a small, deep blue lake, beneath which we can presume the presence of a cave. An animation of a duck suddenly ‘flies’ over the film in the first act. Sterben Uben – das Leben als 5-Akter always operates on several levels simultaneously. An abstract, lyrical first-person narrator speaks subjectively, sometimes using quotations, while the soundscape alternates between chirping birds, atmospheric noise, and what seems like a quote from a military march. The fragmented, subjective perspective is accompanied by historical and scientific descriptions of different birds or snippets of text that could come from online comment threads or that could have been written by artificial intelligence. Similar to how the visual level undertakes a journey that descends into the cave in the first act and leaves the cave towards the fifth act, the text and sound also change. In Act 5, text only appears as subtitles; in Act 4, it has already been reduced to the repetition and variation of a few words:
‘Retardation
A glance over the shoulder
I am not cold.
I am adapting to myself.
Adaption’

Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch

https://annagohmert.de/das-leben-als-5-akter/

Glossar

Dieses Glossar soll einen Einblick in einige von Anna Gohmerts Werkomplexe geben, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Anna Gohmerts Arbeitsweise zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sich unter dem Titel eines Werkkomplexes oft mehrere Arbeiten verbergen, die im Dialog miteinander stehen. Das Glossar versammelt Schlagworte zu einzelnen Aspekten oder einzelnen Arbeiten der Werkkomplexe, anhand derer sich Leser*innen einen fragmentarischen Eindruck verschaffen können. Das Glossar hat nicht das Ziel, die Arbeiten detailliert zu beschreiben, sondern setzt vor allem darauf, die Materialität des Unsichtbaren in Anna Gohmerts Arbeit herauszuarbeiten. Entlang des Glossars unternehmen Leser*innen assoziativ einen sinnlichen Trip durch einzelne erfahrbare Aspekte (haptische, auditive, visuelle) der Arbeiten. Der zentrale Gedanke des Glossars ist, dass Leser*innen über unterschiedliche Material-Metaphern einen Eindruck und Überblick über unterschiedliche Arbeiten gewinnen, die sich über einen Aspekt ihrer Materialität textlich auffalten und so von einem Detail der Arbeit zur gesamten Arbeit gehen.

Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch

Glossary

This glossary is intended to provide an insight into some of Anna Gohmert’s bodies of work without claiming to be complete. One characteristic of her practice is that the title of a body of work often encompasses several projects that engage in dialogue with each other.
The glossary brings together keywords on individual aspects or individual pieces from the bodies of work, allowing readers to gain a fragmentary impression. It does not aim to describe the works in detail, but rather to highlight the materiality of the invisible in Gohmert’s practice.
The glossary takes readers on an associative sensory journey through individual experiential aspects of the works (haptic, auditory, visual).
The central idea of the glossary is that readers can gain an impression and overview of different works through various material metaphors that unfold textually through an aspect of their materiality, thus moving from a detail of the work to the work as a whole

Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch

Collage / Überblendung

Die einzelnen Videobeiträge der fünf Akte funktionieren wie Collagen aus filmischem Bild, Sound und poetischem Text. Selten stehen diese drei Ebenen in einem illustrativen Verhältnis zueinander, das heißt, dass selten zu sehen ist, was gesagt wird. Vielmehr liegen Text, Sound und Bild wie Ebenen übereinander, die in einem Spannungsverhältnis stehen. Das Prinzip der Collage durch Überblendung und Verfremdung löst sich auch auf filmischer Ebene ein. Beispielsweise schiebt sich über die dokumentarische Aufnahme einer Tropfsteinhöhle die grafische Zeichnung des goldenen Schnitts oder ein Bildausschnitt wird extrem herangezoomt, so dass das eigentliche Bild nicht mehr erkennbar ist. Manchmal liegt auch ein anderes Bild wie ein hauchdünner Schleier über der Aufnahme einer Höhle, ein anderes Mal öffnet sich ein Bild im Bild wie ein Fenster im Film und man sieht das Aufschlagen des Eis in einem Ausschnitt, der über der Aufnahme einer Wasseroberfläche liegt. Die Malerei auf einem seidenen Halstuch, das eng um einen Hals geschlungen eingeblendet wird, ähnelt der Wasseroberfläche eines kleinen, tiefblauen Sees, unter dem sich eine Höhle vermuten lässt. Oder die Animation einer Ente „fliegt“ im ersten Akt plötzlich über die filmische Aufnahme. „Sterben Üben – das Leben als 5-Akter“ agiert immer auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Ein abstraktes lyrisches Ich spricht Mal Subjektives, Mal Zitate, während der Sound Mal zwitschert, Mal atmosphärisch klingt, Mal Marschmusik zu zitieren scheint. Textlich ergänzt wird die fragmentarische, subjektive Perspektive von historischen und wissenschaftlichen Einschüben zu unterschiedlichen Vögeln oder von Textschnipseln, die aus Online-Kommentarspalten kommen könnte oder die eine künstliche Intelligenz geschrieben haben könnte. So wie die Bildebene eine Reise unternimmt, die mit dem ersten Akt in die Höhle hinabsteigt und zum 5. Akt hin die Höhle verlässt, so verändert sich auch der Text und der Sound. Im 5. Akt wird Text nur noch als Untertitel eingeblendet, im 4. Akt ist er bereits zur Wiederholung und Variation weniger Worte geworden:
„Retardation. Schulterblick
Mir ist nicht kalt.
Ich passe mich mir selbst an.
Adaptation.“

Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch

https://annagohmert.de/das-leben-als-5-akter/