Höhle / Ausstellungsraum

Wer die Arbeit „Sterben Üben – Das Leben als 5-Akter“ besuchen will, muss durch mehrere Höhlen gehen. Da ist einmal die virtuelle Höhle, die man als Avatar betritt: [Link einfügen]. Über die Tastatur kann man sich durch die Höhlenarchitektur bewegen. Im Hintergrund ist sphärische Musik zu hören. Die Wände des virtuellen unterirdischen Gewölbes sind aus braunem animiertem Gestein. Fünf rot-blaue umrahmte, runde Portalöffungen in den Wänden verweisen auf Zugänge zu fünf nummerierten Räumen, in denen jeweils ein Video – ein filmischer Akt – läuft. Durch das Ansteuern der Portale werden durch kurze Tunnel die einzelnen Räume betreten, die ebenfalls wie eine Höhle gestaltet sind. Nur die Decke der Räume verliert sich in einer rosa Gitterstruktur, die darauf verweist, dass dieser Ort eine virtuelle, künstliche Höhle ist. In jedem der fünf Höhlenräume findet sich eine große Projektionsfläche, auf der der jeweilige filmische Akt gezeigt wird. Außerdem ist es möglich, über einen eingeblendeten Link, Informationen zum jeweiligen Akt aufzurufen. Peggy Schoenegge, die Kuratorin des virtuellen Ausstellungsraumes, hat zu jedem Raum einen kurzen Überblick verfasst. Über zwei Portale in jedem Akt-Raum gelangt man entweder zurück zur zentralen Höhle (Orbit), wo man gestartet ist oder in den nächsten Raum.
Dann gibt es neben dieser virtuellen Höhle noch die Höhlen, die ein tragendes Symbol der filmischen 5 Akte sind. Besonders in den Akten zwei bis fünf befinden sich Zuschauende viel in unterirdischen Welten. Die filmischen Orte sind, anders als der virtuelle Ausstellungsraum, reale Orte. Sie tauchen in unterschiedlichen Formen auf: als unterirdische Welt, die unter der spiegelnden Oberfläche eines Sees liegt; als touristische Orte, wo zwischen Stalagmiten und Stalaktiten Menschen auf befestigten Wegen laufen oder mit einer Bahn durch die Höhlenarchitektur fahren; als sandige Gewölbe, die das Tageslicht erhellt; als dunkler Ort, in den nur ein entferntes Außen einen Kreis Sonne wirft. Sie sind Orte, aus denen unter Staubwolken herausgerannt wird oder deren Inneres interessiert besichtigt wird.
Eine dritte, nicht ganz offensichtliche Höhlenart findet sich im 5. Akt als vielleicht moderne Analogie der Höhle: Der Innenraum eines Wohnhauses. Dort fällt der Blick der Kamera durch Gardinen nach draußen und erinnert an die Höhlengewölbe, in die im 3. Akt das Sonnenlicht hereinfällt, während eine junge Person Staubwolken aufwirbelnd herausrennt.
Höhlen sind in „Sterben Üben – Das Leben als Fünfakter“ vielleicht auch ein Symbol für das Alter der Welt, angesichts dessen jedes Menschenleben winzig wird. Und eine Metapher für die verwinkelte, tiefe, andersartige, Mal faszinierende, Mal unheimliche, unergründliche Welt, die unter der Oberfläche eines Lebens liegt und zu der selbst die Person, die dieses Leben führt, nur begrenzten Zugang hat. In Höhlen lagert sich Zeit ab, Höhlen gehören zu den ursprünglichen Behausungen des Menschen, Höhlen bieten Schutz und bergen die Gefahr des Sich-Verlierens in den Tunnelsystemen. Ähnlich wie die virtuellen Tunnelsysteme des Internets, zu denen auch Peggy Schoenegge eine Verbindung herstellt: „Der virtuelle [Ausstellungs-]Raum wird zu einem platonischen Höhlengleichnis, das auf die Transformation des Seins verweist und sich dem nähert, was Leben ist. Die Kunst wird an dieser Stelle zu einem Werkzeug Anna Gohmerts, das das Ungreifbare greifbar macht und uns Leben in seiner unbeständigen Form spiegelt.“

Text: Judith Engel 
Translation: Bonnie Begusch

https://annagohmert.de/das-leben-als-5-akter/