Dieses Glossar soll einen Einblick in einige von Anna Gohmerts Werkomplexe geben, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Anna Gohmerts Arbeitsweise zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sich unter dem Titel eines Werkkomplexes oft mehrere Arbeiten verbergen, die im Dialog miteinander stehen. Das Glossar versammelt Schlagworte zu einzelnen Aspekten oder einzelnen Arbeiten der Werkkomplexe, anhand derer sich Leser*innen einen fragmentarischen Eindruck verschaffen können. Das Glossar hat nicht das Ziel, die Arbeiten detailliert zu beschreiben, sondern setzt vor allem darauf, die Materialität des Unsichtbaren in Anna Gohmerts Arbeit herauszuarbeiten. Entlang des Glossars unternehmen Leser*innen assoziativ einen sinnlichen Trip durch einzelne erfahrbare Aspekte (haptische, auditive, visuelle) der Arbeiten. Der zentrale Gedanke des Glossars ist, dass Leser*innen über unterschiedliche Material-Metaphern einen Eindruck und Überblick über unterschiedliche Arbeiten gewinnen, die sich über einen Aspekt ihrer Materialität textlich auffalten und so von einem Detail der Arbeit zur gesamten Arbeit gehen.
Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch
This glossary is intended to provide an insight into some of Anna Gohmert’s bodies of work without claiming to be complete. One characteristic of her practice is that the title of a body of work often encompasses several projects that engage in dialogue with each other.
The glossary brings together keywords on individual aspects or individual pieces from the bodies of work, allowing readers to gain a fragmentary impression. It does not aim to describe the works in detail, but rather to highlight the materiality of the invisible in Gohmert’s practice.
The glossary takes readers on an associative sensory journey through individual experiential aspects of the works (haptic, auditory, visual).
The central idea of the glossary is that readers can gain an impression and overview of different works through various material metaphors that unfold textually through an aspect of their materiality, thus moving from a detail of the work to the work as a whole
Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch
Die mit hellen, schimmernden Alaunkristallen bewachsenen Perücken, die an einem Garderobenständer hängen, wirken gleichermaßen verzaubert wie unheimlich. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass kleine Scheinwerfer die zartrosa glitzernden Perücken von Innen beleuchten und so den Effekt des Rätselhaften verstärken. Anna Gohmert hat sich auch in der Arbeit „Die Zeitkomplexität“ mit Haaren und Kristallen beschäftigt. Wie Haare wachsen auch Kristalle über Zeit und bilden charakteristische Strukturen. Im Gegensatz zum anorganischen Material der Kristalle handelt es sich bei Haaren und Nägeln aber um organisches Material. Die Infragestellung und Aushandlung dieser Grenze zwischen „Lebendigem“ und „Totem“ scheint in allen Komponenten von „Lebendige Steine“ mitzuschwingen. Sogar im Titel ist sie enthalten. Wo verläuft also die Linie die das Lebendige vom Toten trennt, wodurch definiert sich Leblosigkeit? Muss nur das Leben umsorgt und gepflegt werden? Wo liegen die Widerstandskräfte des angreifbaren Lebendigen? Finden sich nicht schon in der Bibel Referenzen auf die Grenze von Fleisch und Kristallisation? Lots Frau darf sich bei der Flucht aus Sodom und Gomorrha nicht umwenden, weil sie sonst in eine Salzsäule verwandelt wird. Auch an diese Geschichte könnte die Rückenansicht der Personen in der Wüstenlandschaft erinnern und fragen: ist nicht auch das Wachsen der (Salz-)kristalle eine Form von Leben?
Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch
The wigs – covered in bright, shimmering alum crystals and hanging from a coat rack – look both enchanted and eerie. On closer inspection, it becomes apparent that small spotlights illuminate the sparkling, pale wigs from within, enhancing the effect of mystery. Anna Gohmert also works with hair and crystals in her piece Die Zeitkomplexität (The Time Complexity). Like hair, crystals grow over time and form distinctive structures. But unlike the inorganic material of crystals, hair and nails are organic material. Questioning and negotiating this boundary between the ‘living’ and the ‘dead’ seems to resonate in all components of Living Stones. It is even contained in the title. Where is the line that separates the living from the dead, and how is lifelessness defined? Is it only life that needs to be cared for and nurtured? Where do the powers of resistance of the vulnerable living lie? Are there not already references in the Bible to the boundary between flesh and crystallisation? Lot’s wife is not allowed to turn around as she flees from Sodom and Gomorrah, lest she be turned into a pillar of salt. The rear view of the figures in the desert landscape could also recall this story and ask: Is the growth of (salt) crystals not also a form of life?
Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch
Dieses Glossar soll einen Einblick in einige von Anna Gohmerts Werkomplexe geben, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Anna Gohmerts Arbeitsweise zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sich unter dem Titel eines Werkkomplexes oft mehrere Arbeiten verbergen, die im Dialog miteinander stehen. Das Glossar versammelt Schlagworte zu einzelnen Aspekten oder einzelnen Arbeiten der Werkkomplexe, anhand derer sich Leser*innen einen fragmentarischen Eindruck verschaffen können. Das Glossar hat nicht das Ziel, die Arbeiten detailliert zu beschreiben, sondern setzt vor allem darauf, die Materialität des Unsichtbaren in Anna Gohmerts Arbeit herauszuarbeiten. Entlang des Glossars unternehmen Leser*innen assoziativ einen sinnlichen Trip durch einzelne erfahrbare Aspekte (haptische, auditive, visuelle) der Arbeiten. Der zentrale Gedanke des Glossars ist, dass Leser*innen über unterschiedliche Material-Metaphern einen Eindruck und Überblick über unterschiedliche Arbeiten gewinnen, die sich über einen Aspekt ihrer Materialität textlich auffalten und so von einem Detail der Arbeit zur gesamten Arbeit gehen.
Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch
This glossary is intended to provide an insight into some of Anna Gohmert’s bodies of work without claiming to be complete. One characteristic of her practice is that the title of a body of work often encompasses several projects that engage in dialogue with each other.
The glossary brings together keywords on individual aspects or individual pieces from the bodies of work, allowing readers to gain a fragmentary impression. It does not aim to describe the works in detail, but rather to highlight the materiality of the invisible in Gohmert’s practice.
The glossary takes readers on an associative sensory journey through individual experiential aspects of the works (haptic, auditory, visual).
The central idea of the glossary is that readers can gain an impression and overview of different works through various material metaphors that unfold textually through an aspect of their materiality, thus moving from a detail of the work to the work as a whole
Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch
Die mit hellen, schimmernden Alaunkristallen bewachsenen Perücken, die an einem Garderobenständer hängen, wirken gleichermaßen verzaubert wie unheimlich. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass kleine Scheinwerfer die zartrosa glitzernden Perücken von Innen beleuchten und so den Effekt des Rätselhaften verstärken. Anna Gohmert hat sich auch in der Arbeit „Die Zeitkomplexität“ mit Haaren und Kristallen beschäftigt. Wie Haare wachsen auch Kristalle über Zeit und bilden charakteristische Strukturen. Im Gegensatz zum anorganischen Material der Kristalle handelt es sich bei Haaren und Nägeln aber um organisches Material. Die Infragestellung und Aushandlung dieser Grenze zwischen „Lebendigem“ und „Totem“ scheint in allen Komponenten von „Lebendige Steine“ mitzuschwingen. Sogar im Titel ist sie enthalten. Wo verläuft also die Linie die das Lebendige vom Toten trennt, wodurch definiert sich Leblosigkeit? Muss nur das Leben umsorgt und gepflegt werden? Wo liegen die Widerstandskräfte des angreifbaren Lebendigen? Finden sich nicht schon in der Bibel Referenzen auf die Grenze von Fleisch und Kristallisation? Lots Frau darf sich bei der Flucht aus Sodom und Gomorrha nicht umwenden, weil sie sonst in eine Salzsäule verwandelt wird. Auch an diese Geschichte könnte die Rückenansicht der Personen in der Wüstenlandschaft erinnern und fragen: ist nicht auch das Wachsen der (Salz-)kristalle eine Form von Leben?
Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch
The wigs – covered in bright, shimmering alum crystals and hanging from a coat rack – look both enchanted and eerie. On closer inspection, it becomes apparent that small spotlights illuminate the sparkling, pale wigs from within, enhancing the effect of mystery. Anna Gohmert also works with hair and crystals in her piece Die Zeitkomplexität (The Time Complexity). Like hair, crystals grow over time and form distinctive structures. But unlike the inorganic material of crystals, hair and nails are organic material. Questioning and negotiating this boundary between the ‘living’ and the ‘dead’ seems to resonate in all components of Living Stones. It is even contained in the title. Where is the line that separates the living from the dead, and how is lifelessness defined? Is it only life that needs to be cared for and nurtured? Where do the powers of resistance of the vulnerable living lie? Are there not already references in the Bible to the boundary between flesh and crystallisation? Lot’s wife is not allowed to turn around as she flees from Sodom and Gomorrah, lest she be turned into a pillar of salt. The rear view of the figures in the desert landscape could also recall this story and ask: Is the growth of (salt) crystals not also a form of life?
Text: Judith Engel
Translation: Bonnie Begusch